Album der Woche mit Jack White: Strangeway to Heaven (2024)

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Album der Woche mit Jack White: Strangeway to Heaven (1)

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Album der Woche:

Jack White – »Entering Heaven Alive«

In dem Moment, in dem du dich fragst, ob du glücklich bist, hast du das Glück schon verspielt, so könnte man den Ratschlag übersetzen, den US-Musiker Jack White gleich zu Beginn gibt: »Ask yourself if you’re happy and then cease to be/ That’s a tip from you to me«, singt er in frecher Aneignung und Abwandlung eines berühmten Zitats des britischen Liberalismus-Philosophen John Stuart Mill. Auch eine berühmte Harmonie aus einem Led-Zeppelin-Klassiker eignet sich White hier recht dreist an, allerdings singt er dazu nicht »And it makes me wonder«, sondern »Will I be alone tonight?« und »Will love leave me alone tonight?«: Sein »Stairway to Heaven« ist eher ein verschlungener »Strangeway«, und »Entering Heaven Alive«, Whites fünftes Solo-Album nach den White Stripes, ist das faszinierende Porträt eines Musikers auf der Höhe seines Könnens, der trotzdem mit sich, der Welt und dem Glück, das er gefunden hat, hadert.

Saturiertheit ist kein Wort, das im Wortschatz des 47-Jährigen aus Detroit zu existieren scheint. Der für seine Exzentrik ebenso wie für seine Analog-Vernarrtheit berühmte Gitarrist neigt zu Extremen, um sich zu immer neuen Herausforderungen zu pushen (Er kann übrigens jeden Beatles-Song am ersten Takt erkennen). Bevor er seine neuen Songs schrieb, unterzog er sich einer fünftägigen Fastenkur, was, wie er sagt, ungeahnte Energien freisetzte. »Es war, als ob da etwas ganz Neues aus mir herauskommt«, sagt er im SPIEGEL-Interview.

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So richtig neu mag es dem mit Whites Werk vertrauten Fan nicht wirklich vorkommen, was er auf dem weitgehend akustischen Album darbietet: Dass er ein hervorragender, nuancierter Songwriter ist, der nicht nur minimalistischen Blues-Noise kann, hat er bereits früher bewiesen, die besten Beispiele sind auf der Sammlung »Acoustic Recordings 1998 – 2016« versammelt. Allen, die von White nur den Lärm der White Stripes wollen, ballerte er bereits im April mit »Fear of the Dawn« eine brutale, rifflastige Breitseite hin, auf dem zweiten Album in diesem Jahr wird es nun ruhiger, differenzierter – und seltsamer.

Für den frisch neu verheirateten White (im April machte er Musikerin Olivia Jean auf der Bühne einen Antrag) wäre es ein Leichtes gewesen, ein paar liebestrunkene Songs lässig hinzuwerfen, die gibt es mit »Queen of the Bees«, »If I Die Tomorrow« oder »All Along The Way« auch, aber in vordergründig lieblichen Liedern wie »Love Is Selfish« oder »I’ve Got You Surrounded (With My Love)« lauert auch jene Creepyness, die bei White immer eine Rolle spielt. Der Protagonist dieser Songs, ein zutiefst obsessiver, egonzentrischer Charakter, aber nicht unbedingt White selbst, badet im Überschwang seiner Gefühle, will mit alten Sünden und Verfehlungen aufräumen, bittet Gott und seine Geliebte um Nachsicht, um endlich im Himmel anzukommen – aber er traut sich selbst nicht über den Weg. Ein Blues-Motiv, wie könnte es anders sein.

Im Musikalischen liegt die wahre Überraschung des Albums, denn White dreht hier hinreißend frei, nicht verkrampft überambitioniert wie noch auf »Boarding House Reach« oder den schrägeren Momenten auf »Fear of the Dawn«, sondern mit dem im Genre forschenden Spieltrieb eines David Bowie. So spiegelt sich die Doppelbödigkeit der Texte auch in der Musik, etwa wenn der düstere Johnny-Cash-Folk von »All Along The Way« mit seinen biblischen Bildern von brennenden Zuckerrohr-Feldern plötzlich in einen kuriosen Reggae-Rock kippt. Mit Orgel-Spielereien, Streicher-Schwulst und perkussiven Albernheiten, erinnert vieles an die schalkhafteren Alben der Beatles und der Kinks, oder an Bowies uriges Früh-Stück »The Laughing Gnome«. Tief in seiner Seele ist White ein »Carnie«, ein Vaudeville-Troubadour mit großer Lust an Zirkus und Clownerie.

Am tollsten aber sind »I’ve Got You Surrounded (With My Love)« und dem totalen, musikalischen und textlichem Nonsens von »Madman in Manhattan«: Hier experimentiert White, ob im Fastenrausch oder nicht, mit Jazz-Piano, probiert Funk-Rhythmen und findet, immer noch tief im Folk und Blues verwurzelt, einen ganz neuen Groove, der in die Zukunft seines Sounds weist. Gerade weil er sein Glück und Talent immer wieder hinterfragt, muss man sich Jack White wohl als glücklichen Menschen vorstellen. (8.1)

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Kurz abgehört:

She & Him – »Melt Away – A Tribute to Brian Wilson«

Man kann sich originellere Dinge vorstellen als ein Album mit Coverversionen von Beach Boy Brian Wilson, aber dem ewig nostalgischen Twee-Pop-Duo She & Him ist mit ihrem siebten Album ohne viel Pomp ein einfühlsamer Tribut zum, Pardon, Dahinschmelzen gelungen. Vor allem, weil Sängerin und Schauspielerin Zooey Deschanel und Partner M. Ward (bis auf eine Ausnahme) auf die offensichtlichen Hits verzichten - zugunsten einiger echter Nuggets aus dem reichhaltigen Beach-Boys-Katalog. »Deirdre« zum Beispiel, von 1970, das von der gemächlichen Jingle-Jangle-Stimmung des Originals befreit wird, um jene Dringlichkeit herauszukitzeln, mit der das titelgebende Girl so heftig vermisst wird. Oder »Till I Die« von 1970, dessen traurige Verse (»I’m a cork on the ocean/ Floating over the raging sea«) durch Deschanels einsamen Gesang und eine sehnsüchtige Trompete aus dem kuscheligen Wellenrauschen geholt werden. Auch »Melt Away« vom Solo-Album »Brian Wilson« bekommt ohne das ganze Achtzigerjahre-Synthie-Gedröhn ein neues, bisher ungeahntes Soul-Funkeln. Wenn der 80-jährige Meister dann bei »Do It Again« plötzlich selbst reinbrummelt, fühlt man sich fast in seiner Harmonieseligkeit gestört. Das muss man erstmal hinkriegen. (7.7)

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Nina Nastasia – »Riderless Horse«

Spätestens beim vierten Song dieses Albums, »This Is Love«, kommen einem die Tränen. Mehr als ihre vibrierende, aber immer feste Stimme und eine sanft angeschlagene Akustik-Gitarre braucht US-Songwriterin Nina Nastasia nicht dafür. »Drawing blood until we both see black/ We’re depleted but we stay on track/ Holding hands through every violent blast«, singt sie über den erbitterten Kampf um eine Liebe, den sie am Ende verlor: 2020 nahm sich ihr privater Partner, Produzent und Manager Kennan Gudjonsson das Leben: Die zehn Jahre zuvor, in denen Nastasia kein Album veröffentlichte, beschrieb sie in einem Internview als geprägt von »unhappiness, overwhelming chaos, mental illness, and my tragically dysfunctional relationship«. Die 56-Jährige gilt als ewiger Geheimtipp, ihr Debüt-Album »Dogs« von 2000 ist das, was man in Ermangelung besserer Begriffe wohl einen Kult-Klassiker nennt. Das »Riderless Horse« ihrer Musik, dass sie nun allein durch ihren sparsam instrumentierten Gothic-Folk lenkt, hat nichts von seiner Stärke und Ausdruckskraft verloren. Die Inhalte sind traurig, aber auch voller berührender Zuversicht und Schönheit. Nastasia, die Überlebende, hält die Zügel ihres Songwritings – und anscheinend auch ihres Lebens – jetzt wieder sicher im Griff. Die Lieder suchen Klarheit und Orientierung nach einer Zeit der Düsternis. Und wenn sie in lichtdurchflutenden »Lazy Road« singt, »I feel that I’m happy for the first time«, atmet man mit ihr auf. (7.9)

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Jeff Beck & Johnny Depp – »18«

Würde nicht der durch allerlei private Sümpfe watende Schauspieler und Musiker Johnny Depp auf diesem Album mitspielen, man würde es wahrscheinlich noch nicht einmal erwähnen. Wobei man sich schon fragen könnte, was den altgedienten britischen Gitarrenhelden Jeff Beck geritten hat, ausgerechnet Depp als Sänger für diese Sammlung von Zumutungen und Coverversionen zu engagieren. Über genügend nostalgieseliges Publikum für sein nicht immer inspiriertes Instrumental-Gegniedel (hier u.a. Davy Spillanes »Midnight Walker« und »Don’t Talk (Put Your Head on My Shoulder)« von den Beach Boys) dürfte er nach wie vor verfügen. Ob er sich mit Depp als Partner einen Gefallen getan hat? Eher nicht. Dass der Hollywood-Star nicht der größte Crooner ist, sondern eher roboterhaft und heiser vor sich hin brabbelt beim Singen, weiß man schon seit den Neunzigern und Bands wie P, zuletzt rumpelte der »Fluch der Karibik«-Star mit den Hollywood Vampires ins Rockrentenalter. Für »18« (es sind aber nur 13 Songs) schrieb er mit »Sad Motherf*ckin' Parade« und »This Is A Song For Miss Hedy Lamar« zwei erbärmlich selbstmitleidige Stücke ("I don't believe in humans anymore"), zu denen Beck auch nicht viel mehr einfällt als öder Industrial-Blues-Groove einerseits und Powerballaden-Schmonz andererseits. Spätestens nach der Hinrichtung von Killing Jokes »Death And Resurrection Show« (dem zweiten Song des Albums) fühlt man sich seelisch vergewaltigt. Mit »Caroline No« wird ein weiterer Beach-Boys-Klassiker entzaubert, in der weißbrotig-schlappen »What’s Going on«-Version (ja, wirklich) gelingt Depp immerhin so etwas wie Gesang. In diesem vollkommen erratischen Sammelsurium von Grausamkeiten ergibt allein das Cover von »Venus In Furs« zumindest auf der Meta-Ebene Sinn, auch wenn Lou Reed ob der groben Goth-Pomp-Umsetzung im Grab rotieren dürfte: Im Song geht es bekanntlich um eine Sado-Maso-Beziehung. Passt schon. (1.0)

Abgehört macht Sommerpause! Die nächste Kolumne lesen Sie am 19. August.

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Wertung:Von »0« (absolutes Desaster) bis »10« (absoluter Klassiker)

Abgehört im Radio

Mittwochs um Mitternacht (0.00 Uhr) gibt es beim Hamburger Webradio ByteFM ein »Abgehört«-Mixtape mit vielen Songs aus den besprochenen Platten und Highlights aus der persönlichen Playlist von Andreas Borcholte. Seit 1. Januar 2022 sendet ByteFM in Hamburg auch auf UKW (91,7 und 104,0 MHz).

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Author: Arline Emard IV

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Name: Arline Emard IV

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